Wie wollen wir arbeiten?
- Autorin: Uta Winterhager
- Foto: Andreas Horsky, Jens Kirchner
Kadawittfeldarchitektur steht für die überraschende Lösung, das wird Gerhard Wittfeld während des Interviews sagen. Ungewöhnlich ist schon der Standort Aachen, denn das Büro blieb seit seiner Gründung in der kleinen Stadt im Westen, in der die Studenten den Ton angeben und zu jeder Jahreszeit der Duft von Printen in der Luft liegt. Man ist nie nach Köln gezogen, wo die Szene sich tummelt, oder nach Düsseldorf, wo einige der Großen sich etabliert haben.
Klaus Kada (*1940) kam aus Graz wegen seiner Berufung an den Lehrstuhl für Gebäudelehre und Einführung ins Entwerfen an der RWTH Aachen und nahm Gerhard Wittfeld (*1968), der dort selbst sein Diplom gemacht hatte, gleich mit. Für die Studenten war die Haltung des Duos aus Graz eine große Inspiration, es probierte dynamische Formen, neue Methoden und den Diskurs darüber aus. Zu schade nur für die Lehre, befanden die beiden und gründeten ein Entwurfslabor, aus dem 1999 das Büro kwa kadawittfeldarchitektur entstand. Die Experimentierfreude rentierte sich, das Büro baute und wuchs. Dass bei den Kadas inzwischen ein Generationswechsel stattgefunden hat, tut der Büroname nicht kund: Kilian Kada (*1975) kam nach dem Studium in Wien und New York nach Aachen, leitete ab 2006 zunächst die Wettbewerbsabteilung und wurde 2011 Partner/geschäftsführender Gesellschafter. Inzwischen arbeiten in Aachen 129 Mitarbeiter, am neu gegründeten Standort in Berlin sind es 26. Im vergangenen Jahr waren 35 Projekte in der Planung, davon 14 im Bau, daneben machte man 48 Studien und Wettbewerbe mit überdurchschnittlicher Erfolgsquote. Es erscheint ungewöhnlich, dass das Büro kwa in einem strengen Zweischeibenhochhaus, gebaut von HPP in den frühen 70er-Jahren, sitzt.
“Wir haben keine strikte Aufgabenverteilung, da sind wir bewusst sehr unproduktiv.“
Gerhard Wittfeld, kadawittfeldarchitektur, Aachen
Doch das Gebäude ist Teil des Aachen-Münchener-Hauptsitzes, der für kwa zum Schlüsselprojekt wurde – damit hatten die Architekten sich einen Namen gemacht und ein Thema gefunden. Die Frage: Wie wollen wir arbeiten?, beschäftigt das Büro seitdem kontinuierlich, seine Thesen und Projekte dokumentiert die 2012 erschienene Publikation „Arbeitende Orte“. Ihr eigenes Büro, das von der zehnten, der ehemaligen Chefetage, bis in die achte herunter gewachsen ist, nutzen die Architekten dabei als Testlabor, proben Konstellationen, prüfen Materialien und experimentieren mit Möbeln und Objekten. Sie haben die Etagen des Skelettbaus freigeräumt und in offene Arbeitslandschaften umgeformt. Leitend war dabei von Beginn an das Prinzip des dialogischen Arbeitens, des kontinuierlichen Austauschs bürointern wie -extern, zwischen verschiedenen Projekten ebenso wie zwischen Entwurf, Ausführung, Interior und Kommunikation. Gerade ist die 13. Ausgabe ihres professionell gestalteten Newspapers erschienen.
Auch bei kwa sitzt die fünfköpfige Geschäftsleitung wieder in der obersten Etage, Glaswände schirmen sie von dem großen Empfangs- und Meetingbereich ab, doch die Türen stehen offen. Auf der anderen Seite arbeiten die Mitarbeiter an langen Tischreihen. Hier wird entworfen, gezeichnet und modelliert, auf der einen Seite digital, auf der anderen Seite klassisch mit Stift, Pappe und Styrodur. „Wir zeichnen nicht wie die Generation unserer Väter eine Skizze und legen sie den Mitarbeitern zum Abarbeiten auf den Tisch“, erklärt Kilian Kada, „Ideen werden hier gemeinsam entwickelt.“ Eine weiße Treppe aus Corian – entworfen zum Selbsttest und für gut befunden – führt seit 2011 in die Etage darunter. Auch der Boden, strahlend weißes Epoxid, wurde hier vor dem Einbau bei adidas in Herzogenaurach von der Planungsabteilung getestet. Erst kürzlich haben die Projektleiter und die PR sowie der Salon für das gemeinsame Frühstück am Montagmorgen und die tägliche Mittagspause die achte Etage bezogen. Auch die Holztreppe und die großen kristallin geschnittenen Möbelarchitekturen, die Besprechungsräume ersetzen, sind ein Experiment. Vieles ist hier in Bewegung: die Menschen, die Themen, der an vielen Orten in der Bürolandschaft offen geführte Diskurs. Auch die Einrichtung, die so lange bleibt, bis es eine neue überraschende Idee gibt, die sie noch perfekter machen könnte.
INTERVIEW
Im Gespräch mit …
kadawittfeldarchitektur hatte schon immer zwei Chefs: einen Kada und einen Wittfeld. Jetzt hat ein Kada-Sohn den Vater abgelöst. Sind Sie eine Art Familienbetrieb?
Gerhard Wittfeld: Wir sind ein modernes Familienunternehmen, nicht im hierarchischen Sinne der Nachfolge, sondern im Verständnis einer Großfamilie. Denn wir sind mehr als Kada und Wittfeld, wir haben Partner in der Geschäftsleitung und einen breiten Stamm an Mitarbeitern, die zum Teil seit mehr als 15 Jahren im Unternehmen sind und schon während des Studiums zu unserer Mitstreitergruppe gehörten.
Kilian Kada: Wir sind hier eigentlich geschwisterlich unterwegs. Uns ist wichtig, dass die Leute in unserem Unternehmen möglichst eigenständig und eigenverantwortlich agieren können.
„Wir müssen gestehen, dass wir unser Büro als Testlabor ein wenig missbrauchen.“
Kilian Kada, kadawittfeldarchitektur, Aachen
Wie sind bei kadawittfeldarchitektur die Aufgaben verteilt?
GW: Wir beide sind im Entwurf stark involviert, Stefan Haass, Dirk Lange und Jasna Moritz, die auch in der Geschäftsleitung sind, betreuen die Projekte, wenn sie in die Realisierung gehen. Aber wir haben keine harte Zuordnung. In diesem Sinne sind wir bewusst sehr unproduktiv. Wir setzen uns bei allen Projekten zusammen und diskutieren sie durch, weil wir oft verschiedene Lösungswege parallel verfolgen, denn wir haben gelernt, dass das Offensichtliche oft nicht das Beste ist. Ich bin ein Schnellentscheider, Kilian ist viel reflektierter. Aber die Arbeit wird dann interessant, wenn die Leute nicht gleich sind. Und deshalb sind unsere Mitarbeiter auch ein ganz wildes Gemisch.
KK: Was wir kultivieren, ist das uneitle gepflegte Gespräch, kein Frontalunterricht vor den Mitarbeitern, wir suchen die Auseinandersetzung. Und da hängt es auch von der Tagesform ab, wer gerade den Ton angibt. Wichtig ist, dass wir uns mit den Leuten unseres Vertrauens einfach abstimmen können, um Sicherheit für Entscheidungen zu haben.
„Wir wählen niemals einfach nur Objekte aus, sondern beschäftigen uns mit Lösungen, die den Raum ganzheitlich bespielen.“
Gerhard Wittfeld, kadawittfeldarchitektur, Aachen
Wofür steht kwa heute?
GW: Wir stehen zum einen für die überraschende Lösung. Wir stehen aber auch für ein partnerschaftliches Verhältnis. Wir sind nur an Bauherren interessiert, die uns, so wie wir unsere Mitarbeiter, als Partner wahrnehmen. Bei uns menschelt es sehr.
KK: Wir betrachten das Thema Architektur als wertvollen kulturellen Beitrag. Ich bin in Österreich aufgewachsen und habe das Gefühl, dass Architektur dort mehr in der Gesellschaft verankert ist. Hier in Deutschland ist sie sehr ingenieurlastig. Wir versuchen, die Architektur mit unseren Entwürfen in die Breite der Gesellschaft zu bringen.
Schaut man aus bundesdeutscher Sicht auf die Karte, liegt Aachen leider im Schatten von Köln. Für Sie ist das aber kein Problem?
GW: Aachen hat mit der Bürogeschichte sehr viel zu tun. Als Klaus Kada 1995 an der RWTH Professor wurde, habe ich in seinem Grazer Büro gearbeitet. Aachen haben wir als eine Chance betrachtet, wir haben den Lehrstuhl zusammen aufgebaut und ein Entwurfslabor gegründet, aus dem dann nach und nach das Architekturbüro an Profil gewonnen hat.
KK: Nur leider lässt es das Tagesgeschäft heute nicht mehr zu, dass jemand von uns aus dem Büro in der Lehre tätig ist. Das wäre interessant und eigentlich auch wichtig. Aber der Diskurs zwischen der Lehre und der Praxis findet inzwischen leider viel zu wenig statt.
Und unabhängig von der Hochschule betrachtet?
KK: Am Anfang gab es hauptsächlich Projekte in Österreich, denn das Büro wurde wegen meines Vaters lange noch als österreichisches Büro wahrgenommen. Erst mit dem Bau der AachenMünchener ist das Bewusstsein gekommen, dass das Aachener Büro ein eigenständiger Organismus ist. Dass sich das Büro letztendlich auch in Deutschland etablieren konnte, ist eigentlich Gerds Verdienst.
GW: Für die Autonomie des Architekturbüros kwa war die AachenMünchener sicherlich das Schlüsselprojekt.
„Das Haus (die Neue Direktion) ist stark frontal gerichtet wie ein Bodybuilder, so ein Kraftprotz. Jetzt hat es eine größere Feinheit bekommen.“
Gerhard Wittfeld, kadawittfeldarchitektur, Aachen
Ist es auch ein typisches Projekt?
GW: Sehr. Weil es den vernünftigen, offensichtlichen funktionalen Ansprüchen erst mal widersprochen hat. Eigentlich war es ein reines Officeprojekt – wir haben es aber als Städtebau betrachtet und die fünf Häuser mit einem Boulevard verbunden. Es ist ein sehr urbanes Projekt geworden, denn der Bauherr hat 90 Prozent seiner Grundstücksfläche öffentlich gemacht. Man kann nicht nur drunter durchgehen, auch den Park dahinter und der Platz stehen jedem offen, obwohl es private Grundstücksflächen sind. Natürlich kann man jetzt sagen, dass die Architektur oder der Städtebau toll sind. Aber ich finde, die höchste Leistung des Projekts war es, bei dem Konzern das Verständnis für den städtischen Raum geweckt zu haben und auch ihn damit glücklich zu machen.
KK: Neue Bürowelten sind trendy. Alle Konzerne bauen und wollen wissen, wie man in Zukunft arbeitet. Ich glaube, dass das Projekt der AachenMünchener damals der Wettbewerb war schon 2005 Dinge vorweggenommen hat, über die heute erst gesprochen wird. Es ist zu einem Prototyp geworden.
Als ich durch Ihr Portfolio geguckt habe, hatte ich den Eindruck, dass es bei Ihnen häufig um Inszenierungen geht. Nicht nur in der Grimmwelt, sondern auch bei kleineren Projekten wie der archäologischen Vitrine. Ist das so?
KK: Wenn man zu einem Haus eine Geschichte erzählen kann, dann wird es nahbar und auf ganz andere Art angenommen. Die Grimmwelt ist ein gutes Beispiel, weil die Bürger von Kassel nicht begeistert waren, dass man im Park am Weinberg ein Museum baut. Dass das Museum einen Mehrwert am Ort erzeugt, der über die Architektur hinausgeht, muss man erst mal transportieren. Es geht ja nicht nur darum, ein klassisches Museum zu bauen, sondern das Museum und sein begehbares Dach zu einem Teil des öffentlichen Lebens in der Stadt zu machen. Wir möchten, dass irgendwann durchsickert, dass Neubauten nichts Böses, Hässliches oder Geldverschleuderndes sind, sondern ein kultureller Beitrag.
„Du musst dir bei allem Wahnsinn des Tagesgeschäfts Zeit nehmen, drüber nachzudenken: Wie arbeiten wir, wie interpretieren wir?“
Kilian Kada, kadawittfeldarchitektur, Aachen
Wie haben Sie sich der Neuen Direktion in Köln angenähert?
GW: Uns war klar, dass die Höhe von 35 Metern, die das historische Dach vor dem Krieg bereits hatte, auf jeden Fall die Silhouette der Stadt Köln prägen wird – und das war eine Riesenverantwortung. Durch die Lage gab es gewisse wirtschaftliche Erwartungen, aber wir wollten diesen Blick auf den Rhein nicht ausschließen. Also haben wir mit der Idee gearbeitet, das Volumen des historischen Dachs nur über horizontale Linien darzustellen. Es war nicht einfach zu kommunizieren, dass der Verlust von Mietfläche durch diese Wahnsinnsbalkonflächen aufgewogen wird. Außerdem wollten wir dem alten Herrschaftsverständnis des Bestandsbaus etwas entgegensetzen und haben die Ecken, die normalerweise die Chefbüros sind, zu Kommunikationspoints gemacht. Jetzt können viele die Aussicht genießen. Es ist vielleicht nur eine Kleinigkeit, doch sie bedeutet eine ganze Menge.